Besuch im Archiv des Landesmuseum Hannover
Führung durch die Fossiliensammlung mit Frau Dr. Annette Richter am 20.09.2024
Text: Thomas Voigt
Die meisten von uns konnten sich noch gut an den Vortrag von Frau Dr. Richter erinnern, den sie im September 2023 bei uns in Norderstedt über „KinoSaurier –Fiktion und Fakten“ gehalten hatte. Nicht nur der Inhalt des Vortrags war hoch interessant, auch die anschauliche und sehr leidenschaftliche Art der Präsentation ist für uns unvergesslich geblieben. Als Frau Dr. Richter dann aber bekannt gab, dass das ihr letzter Vortag war, wollten wir das nicht so richtig akzeptieren. Um uns den Abschied etwas leichter zu machen, bot Frau Dr. Richter uns eine Führung durch das Archiv der paläontologischen Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums in Hannover exklusiv für unsere Gruppe an.
So kam es, dass wir am 20.09.2024 für eine Führung in Hannover verabredet waren. Frau Dr. Richter ist im Landesmuseum Hannover Oberkustodin Naturkunde und leitet die Abteilung Sammlungen und Forschung.
Sie führte uns direkt an ihren Arbeitsplatz, von wo aus derzeit u.a. große Sammlungen, die z.B. Privatsammler dem Museum gestiftet hatten, wissenschaftlich bearbeitet werden. Das bedeutet Forschen, Präparieren, Bestimmen, Inventarisieren. Zum Glück ist sie dabei nicht nur auf sich allein gestellt. Kollegen, Hilfskräfte und Studenten unterstützen sie bei ihrer Arbeit. Für uns war überraschend zu hören, dass die Sammlungen, die teilweise schon vor vielen Jahrzehnten zusammengetragen worden sind, von den Sammlern selbst beschriftet wurden; aber das manchmal auch in den alten Schriftarten Kurrent oder Sütterlin. Wer kann das heute noch lesen? Durch einen glücklichen Zufall gibt es tatsächlich in Mitarbeiterstab jemand mit diesen seltenen Kenntnissen. So ist für die wissenschaftliche Bearbeitung nicht auch noch das Studium deutscher „Hieroglyphen“ Voraussetzung.
Neben den vielen Informationen zu Aufbau und Systematik bei der wissenschaftlichen Arbeit erhielten wir auch praktische Hinweise, die für uns Hobbysammler nützlich sind (z.B. Aufbewahrung von Fossilien in Pappschachteln aus säurefreiem Papier oder Beschriften von Fundstücken zweifach – sowohl ausführlich auf einer beigefügten Karte am Aufbewahrungsort aber auch kurz auf dem Fossil).
Während der Führung durften wir in fast endlose Regalreihen gucken, Schubladen wurden für uns geöffnet. Wir staunten über prächtige Fossilien und Mineralien.
Viele berühmte Sammler wurden genannt, deren Funde sich in der Obhut des Museums befinden. Nicht alle können hier wiedergegeben werden. Zwei Namen dürfen aber auf keinen Fall unerwähnt blieben.
Die Sammlung von Herrn Rainer Amme befindet sich zurzeit in der wissenschaftlichen Bearbeitung. Ein Highlight daraus ist der herrlich präparierte Kieselschwamm Urnacristata sp. aus dem Campan von Höver, dessen Lebensweise zunächst viele Fragen aufgeworfen hatte.
Kieselschwamm Urnacristata, Bildquelle: © Landesmuseum Hannover
Die meisten Schwämme im Campan von Hannover halten sich durch Wurzeln in dem vorherschenden weichen Sediment fest. Durch systematische Analyse konnten die Wissenschaftler aber herausfinden, dass dieser Schwamm feste Untergründe besiedelt. Es wurde die Vermutung aufgestellt, dass er vielleicht auf einem Großammoniten Halt gefunden hat. Und der Urnacristata weist eine weitere Besonderheit auf. Anders aber als bei den sonst üblichen Schwämmen von Höver wurde bei Urnacristata das durchgefilterte Wasser durch mehrere Minischlote nach oben abgeleitet, während das einstrudelnde Wasser auf der ebenfalls nach oben gerichteten, aber tiefer gelegenen Oberfläche aufgenommen wurde. Dies war notwendig, da die Unterseite auf der harten Oberfläche aufliegt.
Natürlich gab es auch etwas zum Lachen. Einen Großammoniten durften wir anheben und auf einem Gruppenbild präsentieren. Das sah beeindruckend aus, war aber ganz leicht, denn das scheinbare Fossil war eine Nachbildung aus Kunststoff. Die Originale gleicher Größe daneben haben wir lieber liegen gelassen.
Beeindruckt hat uns auch die Sammlung von Otto Klages aus Königslutter am Elm; u.a. mit vielen wunderschönen Seelilien aus dem oberen Muschelkalk. Herr Klages hat Encrinus liliiformis im Tausch gegen andere seltene Fossilien auf der ganzen Welt verteilt. Deshalb darf es nicht verwundern, wenn man Elm-Seelilien in den abgelegensten Winkeln der Erde vorfindet. Zur Betreuung der Klages-Sammlung gehört auch, Gegenstände und Veröffentlichungen aus dem Leben des Sammlers zu dokumentieren. Ein Mitglied aus unserer Gruppe, das noch zu Lebzeiten persönlichen Kontakt mit Herrn Klages hatte, bekam in den 1980er Jahren ein paar Aufsätze von Herrn Klages geschenkt. Diese hat er nun dem Museum vermacht.
Am Ende unserer Führung sollten wir noch eine kleine Aufgabe lösen. Frau Dr. Richter präsentierte einen versteinerten Seeigel, der auf der Oberseite auffällig deformiert war, jedoch keine erkennbaren Bruchstellen aufwies. „Wie ist diese Auffälligkeit zu erklären?“ Zum Glück hatte jemand aus der Gruppe noch das letzte Heft von „Geschiebe Aktuell“ in Erinnerung. Auf dem Titelblatt des Hefts wurde ein ähnlicher Seeigel mit vergleichbarer Deformation gezeigt. Dort wurde beschrieben, dass es sich um eine Fehlbildung und nicht um einen postmortalen Defekt handele. So konnte im Nachhinein eine Vermutung von Frau Dr. Richter bekräftigt werden. Eine echte Win-Win-Situation für alle Beteiligten und ein schöner Beleg für die gute Zusammenarbeit zwischen Forschung und Privatsammlern.
Nach drei Stunden gingen wir wieder auseinander. Wir waren tief beeindruckt und dankbar für das Erlebte. Das war kein normaler Museumsbesuch, sondern bot exklusive Einblicke hinter die Kulissen des Landesmuseums. Ein Erlebnis, an das wir uns noch lange erinnern werden. Unser ganz herzlicher Dank geht an Frau Dr. Richter.
Vor der Rückfahrt gab es noch eine kleine Stärkung in einem nahegelegenen Restaurant. Danach traten wir die Heimreise an.