Belemniten der Oberkreide

von Carsten Rohde

Die Familie Belemnitellidae PAVLOW, 1914


Teil 2:
Entwicklungsgeschichtliche Zusammenhänge


Teil 2: Entwicklungsgeschichtliche Zusammenhänge

Wichtige frühe Forschungsarbeiten zur Entwicklungsgeschichte der Familie Belemnitellidae stammen von dem russischen Forscher Dmitrij Pavlovic Najdin und dem viele Jahre in Kanada lebenden russischen Wissenschaftler Jurij Alexander Jeletzky (1915, 1988). In jüngerer Zeit wurden Gattungszusammenhänge und Ursprung von Walter Kegel Christensen (1942, 2002) in vielen Artikeln beschrieben und teilweise neu geordnet.

Die Zusammenfassung verschiedener Belemnitengattungen der Oberkreide zu der Familie der Belemnitellidae führte Pavlow 1914 ein. Einige dieser Gattungen wurden dagegen schon erheblich früher bestimmt: Actinocamax durch MILLER 1823 und Belemnitella durch d`ORBIGNY 1840. Die moderne Belemnitenforschung hat insbesondere seit den 60er Jahren mit statistisch-mathematischen Analyseverfahren, den sogenannten biometrischen Methoden, neue Zuordnungen definiert und neue Gattungen kreiert: So etwa Belemnella (Pachybelemnella) durch SCHULZ 1979 und Praeactinocamax durch Košták 2004.

Bis zum Jahre 1964 wurde die Familie der Belemnitelliden in fünf Gattungen gegliedert: Actinocamax, Belemnella, Belemnitella, Belemnocamax und Gonioteuthis. Najdin (1964) erweiterte diese Systematik durch eine neue Klassifikation der Rostren mit flachem, konvexem alveolarseitigem Rostrumstumpf oder mit einer Pseudoalveole; letztere entsteht in der Regel durch Verwitterung der aragonitischen Teile des Alveolenrandes im Sediment und ist, wie die Fotos im Anhang zeigen, bei den Hibolithen schon seit dem Oberen Malm bekannt und setzt sich bei ihren Nachfahren, der Familie Mesohibolitidae NERODENKO 1983, fort. Erst bei den späten Belemnitelliden des Obercampan und Maastricht wird der Alveolenrand calcitisch und damit erhaltungsfähig.

Najdin fügte den bekannten Belemnitelliden-Gattungen die Gattung Belemnellocamax hinzu, erweiterte Actinocamax um zwei Untergattungen: Praeactinocamax, Paractinocamax und ergänzte Gonioteuthis um die Untergattung Goniocamax. Christensen (1997) erhob die vorgenannten Untergattungen in den Rang von Gattungen und vereinte Paractinocamax mit Belemnellocamax.

Viele der neuen Gattungen waren in der Zentral Europäischen Subprovinz der Oberkreide unbekannt. Sie wurden erstmals in der Zentral Russischen Subprovinz erfasst oder in der Baltisch-Skandinavischen Region, in der sich beide Subprovinzen überlappen (siehe hierzu Teil 1). Nunmehr umfasst die Familie Belemnitellidae neun Gattungen und zwei Untergattungen und stellt sich, gegliedert nach der erstmaligen zeitlichen Bestimmung der Gattungen, wie folgt dar:

Gattungen
Anzahl der Arten
Actinocamax MILLER, 1823
4
Belemnitella dORBIGNY, 1840
17
Gonioteuthis BAYLE, 1878
9
Belemnocamax CRICK, 1910
1
Belemnella NOWAK, 1913

B. (Belemnella) NOWAK, 1913
B. (Neobelemnella) NAJDIN, 1975
B. (Pachybelemnella) SCHULZ, 1979

12
Fusiteuthis KONGIEL, 1962
1
Praeactinocamax NAJDIN, 1964
10
Belemnellocamax NAJDIN, 1964
3
Goniocamax NAJDIN, 1964
4

 

Über den Ursprung der Belemnitelliden gibt es noch keine Klarheit. Jeletzky (1946) nahm an, dass sie von den Neohiboliten des Apt (N. ewaldi STROMBECK 1861 und N. clava STOLLEY 1911) abstammen, da die äußere Form des Rostrums sowie die Form der Pseudoalveole sehr ähnlich sind. Dagegen vermutete Doyle (1992) einen ursprünglichen Zusammenhang mit den Hibolithen des Hauterive bis Apt (z.B. H. jaculoides SWINNERTON 1952). Beide Ansätze verkennen, dass zwischen dem Verschwinden der Unterkreide Hibolithen bzw. Neohiboliten und dem erstmaligen Auftreten von Praeactinocamax primus im Unteren Cenoman ein zeitliches „Loch“ von rund 20 Mio. Jahren klafft. Daher ist im Prinzip Najdin & Alekseev (1977) zu folgen, die eine zeitnahe Abstammung der Belemnitelliden von Unter-Cenoman Neohiboliten vorschlagen. Ihr „Übergangskandidat“, Neohibolites repentinus NAJDIN & ALEKSEEV 1975 kommt als Ahn jedoch nicht in Frage, da er nach Christensen (1997) später erschien, als sein vermeintlicher Nachfolger Praeactinocamax primus.

Steht der Ursprungsbeweis mithin noch aus, so ist auch die Abstammungslinie der Belemnitelliden keineswegs stimmig oder gar durchgehend, sondern vielmehr in weiten Bereichen noch ungeklärt.

Najdin & Kopaevich (1977: The zonation of the Upper Cretaceous of the European palaeobiogeographical province ( in russisch) zeigen stammesgeschichtliche Zusammenhänge zwischen den Gattungen der Belemnitelliden auf, ausgehend von der Gattung Praeactinocamax:

1. Praeactinocamax
   
führt zu Actinocamax
2. Praeactinocamax
über Belemnellocamax
 
führt zu Belemnella
3. Praeactinocamax
über Goniocamax
führt zu Gonioteuthis
führt zu Belemnitella

Die Annahme der Entwicklung der Belemnitelliden aus einer Ursprungsgattung ist umstritten. So sind sicher Praeactinocamax und Belemnocamax aufgrund ihres parallelen Auftretens und ihrer abweichenden morphologischen Merkmale nicht zeitlich unmittelbar ursprungsgleich. Zweifelhaft ist auch die Ableitung von Actinocamax aus Praeactinocamax, da beide nicht nur im Wachstumsverhalten (Actinocamax zeigt isometrisches, Praeactinocamax dagegen allometrisches Wachstum des Rostrums) von einander abweichen. Košták (2004) vermutet einen gemeinsamen Vorfahren beider Gattungen bei einem noch unbekannten Neohiboliten des Unter-Cenoman.

Die Familie Belemnitellidae ist allem Anschein nach ein polyphyletisches Taxon mit verschiedenen Ahnen: Denn obwohl die Wurzeln von Actinocamax und Praeactinocamax wohl in beiden Fällen bei späten Neohiboliten zu suchen sind, passt doch die kurze gedrungene Gestalt von Belemnocamax boweri CRICK 1910 mit einer tiefen, breiten Ventralfurche so gar nicht in das Bild der Belemnitelliden; wäre da nicht als Gemeinsamkeit die Pseudoalveole des Rostrums. Belemnocamax ausklammernd könnte man mit Košták durchaus korrekt von einer monophyletischen Entwicklung der Belemnitellidae sprechen.

Auch der häufig vermuteten Abstammung der Belemnellen von Belemnellocamax steht eine erhebliche stratigraphische Lücke entgegen, die sich zwischen dem Aussterben der einen Gattung im Unteren Obercampan und dem Erscheinen der Belemnellen im Unter-Maastricht auftut (ca. 9 Mio. Jahre).

Über die Zuordnung der wie Belemnocamax sehr seltenen Gattung Fusiteuthis herrscht Unklarheit.

Christensen (1997; Grafik 1) definiert die Hauptstammlinien der Familie Belemnitellidae daher wie folgt neu:

Grafik Christensen:
grafik2
Grafik 1: Christensen, The Late Cretaceous belemnite family Belemnitellidae...
Bulletin of the Geol. Soc. of Denmark, Vol. 44, S.61

Wohl definiert (Grafik 2) und fossil belegt ist zur Zeit nur die Entwicklungslinie von Praeactinocamax plenus ausgehend über Goniocamax lundgreni zu den Gonioteuthiden und Belemnitellen des Santon.

grafik3

Grafik 2: Christensen/Schulz, Coniacian and Santonian belemnite faunas... . Fossils and Strata, Nr. 44, S.20

Belemnocamax?
 
führt zu Actinocamax
 
Praeactinocamax
 
führt zu Belemnellocamax
 
Praeactinocamax
über ?Belemnellocamax
führt zu Belemnella
 
Praeactinocamax
über Goniocamax
führt zu Gonioteuthis
führt zu Belemnitella
?Praeactinocamax
über ?Belemnellocamax/?Belemnitella
führt zu Fusiteuthis
 

 


Anhang: Fotos

2 neohibolites ewaldi unter apt helgoland Neohibolites ewaldi, Unter-Apt, Helgoland
3 neohibolites jaculoides hauterive moorberg gr rostrum s Neohibolites jaculoides, Hauterive; Moorberg; gr. Rostrum
4 hibolites minutus mittleres barreme hoheneggelsen neuca 3 Hibolites Minutus, mittleres, Barreme, Hoheneggelsen
5 neohibolites minimus apt soleilhas castillon f ca 3 Neohibolites minimus, Apt, Soleilhas Castillon, F
1 hibololites calloveyensis mittl callov nikitino rjazan Hibololites calloveyensis, Mittl. Callov, Nikitino, Rjazan
5 preactinocamax plenus oberes cenoman muehlheim broice 72 Praeactinocamax plenus, oberes Cenoman, Mühlheim-Broice
6 preactinocamax plenus pseudoalveole Praeactinocamax plenus, Pseudoalveole
7 goniocamax lundgreni plus gx striatus bavnodde gruensand co neu Goniocamax lundgreni + Gx striatus, Bavnodde, Grünsand

Goniocamax lundgreni, Pseudoalveole

Actinocamax verus, Bavnodde, Grünsand, Coniac-Santon Bornh.

 


Literaturhinweise:

Birkelund, T. (1957): Upper Cretaceous belemnites of Denmark. Det Kong. Danske Vidensk. Selskab 9, S. 1 69.
Christensen,W.K. (2002): Fusiteuthis polonica, a rare and unusual belemnite from the Maastricht. Acta Palaeontologica Polonica 47(4), S. 679 - 683.
Christensen, W.K., Schulz, M.-G. (1997): Coniacian and Santonian belemnite faunas from Bornholm, Denmark. Fossils and Strata, Nr. 44, S. 1 - 73, Oslo.
Doyle, P. (1992): A review of the Biogeography of Cretaceous belemnites. Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology 92, S. 207 - 216.
Košták, M. (2004): Cenomanian through the Lowermost Coniacian Belemnitellidae Pavlow (Belemnitida, Coleoidea) of the East European Province. GEOLINES 18, Prag, S. 59ff.
Košták, M. (2005): Phylogenie of Praeactinocamax NAIDIN (Belemnitellidae, Upper Cretaceous). 2nd Int. Symp.-Coleoid Cephalopods Through Time, Prag, S.80 - 84.
Najdin, D.P., Alekseev, A.S. (1975): New Neohibolites from Cenomanian of the Crimea. Übersetzung in: Palaeont. Journal 3, S. 311 - 315.



Teil 2:
Entwicklungsgeschichtliche Zusammenhänge